Zu viele Studienabbrecher?
Haben wir zu viele Studienabbrecher? Muss die Universität
etwas dagegen tun?
Zunächst einmal muss man sich klar machen, dass es zwischen
Abbrecherquoten und Durchfallquoten zu differenzieren gilt. Das eine
hat mit dem anderen nur mittelbar was zu tun.
Ein Studienabbruch kann aus verschiedensten Motiven erfolgen, oft ist
es nicht das Ende von etwas, sondern viel eher der Anfang von etwas
anderem, einem neuen
Studium, da das abgebrochene nur als "Parkstuduim" diente bis der
ersehnte Studienplatz errungen wurde, oder vielleicht einer
Unternehmensgründung, wie in den Fällen Bill Gates oder Mark
Zuckerberg, um nur die illustresten Fälle zu nennen.
Kurz gesagt, mit der Zahl der Abbrecherquoten allein zu argumentieren
ist in aller Regel haltlos, solange man die Ursachen der Abbrüche
nicht kennt.
Durchfallquoten hingegen sind etwas völlig anderes. Sie entstehen
aus einer Diskrepanz zwischen der
erwarteten Mindestleistung und der tatsächlich erbrachten
Leistung. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten:
- die gewollte Durchfallquote: Es kann Gründe geben, die
Durchfallquote ganz bewusst hoch anzulegen, sei es, um den Wert
des angestrebten Abschlusses hoch zu halten und dadurch
inflationären Tendenzen entgegenzuwirken, oder sei es, dass der
Dozent die Studenten zu mehr Arbeit und dann einer noch besseren
Leistung im zweiten Durchgang anhalten möchte,
- zu hohe Erwartungen: Die Erwartungen an die
Leistungsfähigkeit der Studenten ist unangemessen hoch,
- zu niedrige Leistung: Die erbrachte Leistung der Studentenschaft
ist unangemessen niedrig.
Zum ersten Fall ist wenig zu sagen, es entsteht kein wirklicher
Handlungsspielraum.
Das Problem beim zweiten und dritten Fall ist, dass es keine
zuverlässigen Kriterien gibt, sie voneinander zu unterscheiden.
Hier sind zwischen Studentenschaft und Dozenten mühevolle
Verhandlungen anhängig, der schwarze Peter wird hin- und
hergeschoben. Moralisch steht der Dozent schlechter da, denn auch im
dritten Fall kann man ihm anlasten, den Studenten möglicherweise
nicht genug beigebracht zu haben. Machtpolitisch steht er besser da,
denn er hat letztendlich die Entscheidung.
Das Bologna-Abkommen weist allerdings einen Weg aus diesem Dilemma:
Teil dieses Abkommens ist das ECTS-System, das relative Noten vorsieht.
Das heisst, dass nicht mehr nach den Erwartungen des Lehrenden bewertet
wird, sondern nach der Leistung im Hinblick auf die anderen
Studierenden. Es wird also nicht mehr gesagt, dieser Student hat eine
eins, der eine zwei, sondern, dieser Strudent gehört zu den besten
10%, dieser zu den nachfolgenden 25% usf.
Denkt man dieses System konsequent weiter, muss man auch die
Durchfallquoten mit einbeziehen. Die saubere Lösung lautet also:
Durchfallquoten vorher festlegen!
Also wird etwa vor der Klausur verkündet: die schlechtesten 30%
fallen durch, oder: die besten 100 Studenten bestehen. Inoffiziell soll
es an vielen Stellen schon so gehandhabt werden, warum nicht offiziell?
Jedem, der für niedrigere Durchfallquoten plädiert, empfehle
ich mal folgendes Gedankenexperiment: Ihr Kind muss einer komplizierten
und risikoreichen Behandlung unterzogen werden. Zur Wahl stehen zwei
Ärzte: der eine hat sich an einer Hochschule mit bekannt hohen
Durchfallquoten durchgesetzt, der andere kommt von einer Institution,
die bekanntermaßen fast jeden das Examen bestehen lässt.
Wenn das alles ist, was Sie von den Ärzten wissen, wem würden
Sie Ihr Kind anvertrauen?
(2012)