Zu viele Studienabbrecher?

Haben wir zu viele Studienabbrecher? Muss die Universität etwas dagegen tun?
Zunächst einmal muss man sich klar machen, dass es zwischen Abbrecherquoten und Durchfallquoten zu differenzieren gilt. Das eine hat mit dem anderen nur mittelbar was zu tun.
Ein Studienabbruch kann aus verschiedensten Motiven erfolgen, oft ist es nicht das Ende von etwas, sondern viel eher der Anfang von etwas anderem, einem neuen
Studium, da das abgebrochene nur als "Parkstuduim" diente bis der ersehnte Studienplatz errungen wurde, oder vielleicht einer Unternehmensgründung, wie in den Fällen Bill Gates oder Mark Zuckerberg, um nur die illustresten Fälle zu nennen.
Kurz gesagt, mit der Zahl der Abbrecherquoten allein zu argumentieren ist in aller Regel haltlos, solange man die Ursachen der Abbrüche nicht kennt.

Durchfallquoten hingegen sind etwas völlig anderes. Sie entstehen aus einer Diskrepanz zwischen der
erwarteten Mindestleistung und der tatsächlich erbrachten Leistung. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten:
Zum ersten Fall ist wenig zu sagen, es entsteht kein wirklicher Handlungsspielraum.
Das Problem beim zweiten und dritten Fall ist, dass es keine zuverlässigen Kriterien gibt, sie voneinander zu unterscheiden. Hier sind zwischen Studentenschaft und Dozenten mühevolle Verhandlungen anhängig, der schwarze Peter wird hin- und hergeschoben. Moralisch steht der Dozent schlechter da, denn auch im dritten Fall kann man ihm anlasten, den Studenten möglicherweise nicht genug beigebracht zu haben. Machtpolitisch steht er besser da, denn er hat letztendlich die Entscheidung.

Das Bologna-Abkommen weist allerdings einen Weg aus diesem Dilemma: Teil dieses Abkommens ist das ECTS-System, das relative Noten vorsieht. Das heisst, dass nicht mehr nach den Erwartungen des Lehrenden bewertet wird, sondern nach der Leistung im Hinblick auf die anderen Studierenden. Es wird also nicht mehr gesagt, dieser Student hat eine eins, der eine zwei, sondern, dieser Strudent gehört zu den besten 10%, dieser zu den nachfolgenden 25% usf.
Denkt man dieses System konsequent weiter, muss man auch die Durchfallquoten mit einbeziehen. Die saubere Lösung lautet also: Durchfallquoten vorher festlegen!
Also wird etwa vor der Klausur verkündet: die schlechtesten 30% fallen durch, oder: die besten 100 Studenten bestehen. Inoffiziell soll es an vielen Stellen schon so gehandhabt werden, warum nicht offiziell?

Jedem, der für niedrigere Durchfallquoten plädiert, empfehle ich mal folgendes Gedankenexperiment: Ihr Kind muss einer komplizierten und risikoreichen Behandlung unterzogen werden. Zur Wahl stehen zwei Ärzte: der eine hat sich an einer Hochschule mit bekannt hohen Durchfallquoten durchgesetzt, der andere kommt von einer Institution, die bekanntermaßen fast jeden das Examen bestehen lässt. Wenn das alles ist, was Sie von den Ärzten wissen, wem würden Sie Ihr Kind anvertrauen?

(2012)