Arbeitsbereich Stochastik - Mathematisches Institut
- Universität Tübingen
Bioinformatik, Biomathematik und Biostochastik
Bioinformatik beabsichtigt im allgemeinen nicht, mathematische
Gesetze für biologische Systeme herzuleiten, wie sie z.B. für
den Bereich der Physik bekannt sind. Zur Zeit besteht der Hauptnutzen
der Bioinformatik in der Bereitstellung von Werkzeugen, die zur
Datenanalyse benutzt werden können. Beispielsweise
benötigen Biologen Werkzeuge zur statistischen Bewertung der Ähnlichkeit
zweier oder mehrerer DNA- oder Protein-Sequenzen, zum Auffinden bestimmter
Gene in genomischer DNA, und zur Schätzung, wie unterschiedlich
Gene in verschiedenen Gewebeproben zum Ausdruck kommen. Wichtige
Teilbereiche der Bioinformatik beschäftigen sich mit der Entwicklung
und Optimierung zugehöriger Datenbanken, Algorithmen und
Programm-Paketen.
Biomathematik beschäftigt sich im wesentlichen mit
der mathematischen Beschreibung und Untersuchung biologischer Phänomene.
Ziel ist eine möglichst umfassende und allgemeine
mathematische Modellierung sowie mathematische Analyse biologischer Systeme,
ähnlich zu den mathematischen Gesetzen, die aus der
Physik bekannt sind. Das wohl einfachste Beispiel ist das exponentielle
Populationswachstum (N'=cN). Im Gegensatz zur Physik ist man jedoch
in der Biologie noch relativ weit davon entfernt, auch nur einen Bruchteil
dieser Gesetzmässigkeiten zu kennen. Unter die Biomathematik im
engeren Sinn werden vorwiegend deterministische Ansätze gezählt,
meist aus dem Bereich der Differentialgleichungen sowie der Dynamischen
Systeme.
Biostochastik trägt dem Umstand Rechnung, dass viele
biologische Phänomene teilweise oder sogar ganz vom Zufall
geprägt sind. Obwohl die Bedeutung des Zufalls in der Biologie
(z.B. in der Evolution) schon sehr früh erkannt wurde (Darwin,
Mendel, Hardy-Weinberg), wurden komplexere probabilistische Modelle
auch bedingt durch die relativ späte Weiterentwicklung der
Stochastik erst in jüngster Zeit verstärkt weiterverfolgt.
Fundamentale Fortschritte konnten erst erzielt werden, nachdem die
Theorie der Stochastischen Prozesse und der Stochastischen Integration
hinreichend aufgebaut war. So hat z.B. die Theorie der Verzweigungsprozesse
fundamental zum Verständnis biologischen Populationswachstums bis hin
zur Polymerase-Chain-Reaction (PCR) beigetragen. Ein weiteres typisches
Beispiel ist die durch Kingman (1982) begründete Coalescent-Theorie,
eine Stammbaum-Theorie, die die Entwicklung der Populationsgenetik bis
heute wesentlich beeinflusst. Die Zahl der Publikationen in
wahrscheinlichkeitstheoretischen Zeitschriften mit Bezug zur Biologie
ist seit 1980 sprunghaft angestiegen und belegt die Bedeutung
der Biostochastik. Überdies bildet die Biostochastik die Basis
für eine fundierte statistische Analyse biologischer Daten. Hier
wird der Bezug zur Bioinformatik besonders deutlich.